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Wie Sinisa Bozic eine Idee hatte – ein Interview

Erstellt von Katharina Tugend

20.12.2022 Elisabeth-Krankenhaus Essen, Karriere, Pflege

Der Pflegekräftemangel wird gerne in den verschiedenen Medien diskutiert und ist in den medizinischen Einrichtungen täglich spürbar. Sinisa Bozic sah die Probleme während seiner täglichen Arbeit und hatte eine Idee.

Bozic, der heute Koordinator für ausländische Pflegekräfte im Elisabeth-Krankenhaus Essen ist, rief vor über einem Jahr gemeinsam mit Kolleg:innen der Personalabteilung und der Pflegedirektion ein Projekt ins Leben, das Pflegekräfte aus Bosnien anspricht und die Möglichkeit eröffnet nach Deutschland in das Elli zu wechseln. Schon mehrfach haben wir über diese Erfolgsgeschichte berichtet (hier nachzulesen). Eine besondere Biographie führte den 46-Jährigen über einige Umwege zu seiner Idee und zu seiner heutigen Tätigkeit als Koordinator. Wir haben ihn zum Interview getroffen.

Wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

Das war 2016. Ich habe in Bosnien keine Zukunft mehr für meine Familie und mich gesehen. Die politische und wirtschaftliche Situation ist schwierig. Ich konnte nicht genug Geld verdienen, um meine Familie zu versorgen - obwohl ich eigentlich einen guten Job hatte. Ich habe Krankenpflege und Pflegemanagement studiert. Rund 20 Jahre habe ich am Universitätsklinikum Tuzla gearbeitet. Ein Traumazentrum in dem man sehr viele praktische Erfahrungen sammeln kann.

Wie war ihr Start in Deutschland?

Was ist das hier mit der Bürokratie? Natürlich ist sie in jedem Land eine Herausforderung. Aber hier musste ich mir praktisch einen Tag Urlaub nehmen, um Briefe vom Amt zu übersetzen und zu verstehen. Die Sprachhürde war generell am Anfang sehr hoch für mich, ich musste mich da durchbeißen. Einmal machte ich einen Brief auf und sah nur die Zahl. Fast 1.000 Euro! Ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht und war beunruhigt. Überlegte einfach sofort zu überweisen. Mit Wörterbuch und etwas Zeit verstand ich, dass man mir Geld geben wollte. Es war der Bescheid über das Kindergeld samt Nachzahlung.

Wie sind Sie ins Elli gekommen?

Wie so oft im Leben gab es einige Umwege. Ich musste mich darum kümmern, dass meine Ausbildung anerkannt wurde. Also noch mehr Bürokratie. Nach anderthalb Jahren habe ich es geschafft und das war nicht einfach, da ich keine Hilfe hatte. Leider wurde mir der akademische Teil meiner Ausbildung nicht anerkannt. Aber ich konnte wieder in meinem Beruf arbeiten. Erst in der häuslichen Pflege und dann verschlug es mich 2018 ins Elli. Hier wurde ich endlich wieder gefördert, konnte mich zum Wundexperten und Praxisanleiter weiterbilden.

Wann hatten Sie die Idee, das Projekt für ausländische Fachkräfte ins Leben zu rufen?

Durch die Pandemie wurde der Personalmangel noch spürbarer. Ich hatte die Idee schon einige Zeit im Kopf. Ich habe viele Kontakte in Bosnien, ich war in meinem Beruf sehr gut vernetzt und ich weiß, dass die Pflegefachkräfte in Bosnien sehr gut ausgebildet sind. Aber die Idee ist das eine. Sie auszusprechen und dann noch jemanden zu finden, der zuhört, ist das andere. Ich bin sehr dankbar, dass mir gleich mehrere Menschen zuhörten. Die erste war Margit Korpas, Pflegedienstleiterin Innere Medizin und Chirurgie, die sofort begeistert war. Gemeinsam holten wir Simone Sturm, Pflegedirektorin, und Andreas Weymann, Personalmanagement, ins Boot und die Reise ging los. 2021 entschieden sich die ersten Pflegefachkräfte für uns und kamen nach Essen (hier zu lesen).

Was macht ihr Projekt aus?

Es gibt einige Agenturen, die Pflegekräfte nach Deutschland holen und sowohl von den Pflegekräften als auch den Krankenhäusern unverschämt viel Geld nehmen. Dass das bei Menschen, die nur ein paar 100 Euro im Monat verdienen, nicht in Ordnung ist, ist logisch. Meine Idee war, direkt in die Kandidaten zu investieren, eine Gelegenheit zu schaffen, bei der sich beide Seiten kennenlernen können und auch den Interessierten zu zeigen, wie Pflege in Deutschland funktioniert. In Bosnien übernimmt man viel mehr Aufgaben, die hier in den ärztlichen Bereich fallen. Hier hat die Prävention einen höheren Stellenwert. Sowas müssen die Leute vorher wissen, um keine falschen Erwartungen zu haben. Agenturen thematisieren das nicht. Außerdem vermitteln sie nur einen Arbeitsplatz, aber keine Wohnungen, helfen nicht bei der Eröffnung eines Kontos oder anderen alltäglichen Dingen. Wir machen das im Rahmen unseres Projekts. Es ist im Grunde die Hilfe, die ich mir auch bei meinem Start in Deutschland gewünscht hätte.

Welche Hilfestellungen bieten Sie außerdem?

Unsere Arbeit beginnt bereits in Bosnien. Ich fahre mehrmals im Jahr dorthin, um das Elli z.B. in Berufsschulen interessierten Pflegefachkräften vorzustellen. Wir kooperieren dort mit einer Sprachschule und organisieren Sprachkurse. Dort können die Frauen und Männer bereits die nötigen Deutschkenntnisse erwerben. Alle zwei bis drei Monate gibt es dann per Online-Meeting Vorstellungsgespräche. Wenn wir uns für eine Kandidatin oder einen Kandidaten entscheiden, helfen wir ihnen alle nötigen Unterlagen vorzubereiten, die Reise zu organisieren und genauso die Ankunft hier in Essen. Die größte Hilfestellung leisten wir bei der Anerkennung der Ausbildung und den Übersetzungen. Solche Dokumente müssen beglaubigt werden, es gibt sehr viel zu beachten. Die Unterlagen müssen zur Bezirksregierung und die braucht mit Ihrer Antwort bis zu 7 Monate. Dann wird über den Anerkennungsprozess entschieden, der noch einmal 6-12 Monate dauern kann, aber in der Zeit kann man bereits arbeiten. Deswegen starten wir diesen Prozess schon, wenn die Menschen noch in Bosnien sind. Sie können also mit der Gewissheit nach Deutschland kommen, dass sie hier auch wirklich ihren Beruf ausüben können. Ein weiterer Vorteil ist, dass unsere neuen Kolleg:innen sich ganz auf die Eingewöhnung, den Job und die neue Sprache konzentrieren können, weil die ganze Bürokratie erledigt ist.

Wie viele Pflegefachkräfte befinden sich aktuell in diesem Prozess?

Es gibt unterschiedliche Phasen, wir hatten gerade erst Vorstellungsgespräche. Da haben wir uns für sechs Kandidat:innen entschieden. Die stehen noch am Anfang. Rund 15-20 sind in der Phase, in der die Unterlagen bei der Bezirksregierung geprüft werden. Wir haben aber auch sieben Kolleg:innen, die im Oktober ins Elli gewechselt sind.

Wie blicken Sie nach einem Jahr auf dieses Projekt?

Es ist unglaublich schön zu sehen, dass diese Idee aufgeht und beide Seiten profitieren. Ich bin immer noch dankbar, dass ich so viel Unterstützung bekommen habe. Damit meine ich nicht nur Geschäftsführung, Personalabteilung und Pflegedirektion, die so viel Vertrauen hatten. Susanne Lievenbrück, Ausbildungsbeauftragte, hat mir unglaublich geholfen und mich als Muttersprachlerin immer wieder unterstützt. So ein Projekt funktioniert nur als Team. Auch auf den Stationen habe ich so viele positive Erfahrungen gemacht. Alle geben sich so viel Mühe. Außerdem habe ich mich selbst sehr weiterentwickelt, ich habe viel gelernt und mittlerweile habe ich auch bei der deutschen Bürokratie den Durchblick.

Wir danken Sinisa Bozic für das Gespräch!

Text: KT / Bilder: EU, KT